Die Entwicklung der Norwegischen Krone gegen den US-Dollar (USD) scheint durch zwei Hauptfaktoren beeinflusst zu werden: erstens durch den Ölpreis (Abb.1) und zweitens durch den relativen Wert anderer europäischer Währungen. Da Rohöl und seine raffinierten Produkte 30,5 % der norwegischen Exporte ausmachen (dicht gefolgt von Erdgas mit 26 % der Exporte), dürfte diese Kausalität kaum überraschen. Mehr als 75 % der Gesamtexporte wurden nach Europa verschifft (4 % nach Dänemark, 8,5 % nach Schweden, 20 % in das Vereinigte Königreich und 43 % in den Euroraum).
Doch selbst im Vergleich zum Ölpreis und zu anderen europäischen Währungen hat sich NOK – vor allem in den letzten sechs Jahren – schlecht entwickelt. Das gilt gegenüber der Schwedischen Krone (SEK) (Abb. 2), dem Euro (EUR) (Abb. 3) und dem Britischen Pfund (GBP) (Abb. 4).
Die Ursachen für die schlechte Entwicklung der Norwegischen Krone sind nicht den „üblichen Verdächtigen“ geschuldet: Zentralbankpolitik, übermäßige Verschuldung oder schlechte Wirtschaftsleistung. Vielmehr lässt sie sich auf einen Faktor zurückführen: die rückläufige Ölproduktion (Abb. 5) – und in letzter Zeit auch auf einen sinkenden Ölpreis.
Neben der geringeren Ölproduktion und einem niedrigeren Ölpreis haben auch eine umfangreiche Erdgasproduktion in bzw. hohe Exportvolumina des Produkts aus den USA europäische Erdgaspreise unter Druck gesetzt, die sich infolgedessen dem deutlich niedrigeren nordamerikanischen Preis (Abb. 6) angenähert und dadurch die Exporterlöse Norwegens gesenkt haben.
Die Ölproduktion hat Norwegen zwar zu einem der reichsten Länder der Welt gemacht, geht jedoch auch mit einem Nachteil einher: der sogenannten Holländischen Krankheit. Dieser Begriff verweist auf Länder, deren Wirtschaft von Öl oder anderen Rohstoffen getragen wird und die darüber hinaus überbewertete Währungen aufweisen, was die Wettbewerbsfähigkeit anderer Exportindustrien verschlechtert. Und tatsächlich: Während sich in Norwegens Nachbarländern eine Reihe unterschiedlicher Industrien entwickeln konnte – wie z. B. Telekommunikation, Fahrzeugbau, Elektronik, Möbel und Lego-Bausteine – bleibt das Land stark von Rohstoffindustrien wie Öl, Erdgas, Bergbau und Fischerei abhängig. Doch nun hat die Norwegische Krone gegenüber anderen Währungen abgewertet. Der Grund: Investoren haben gemerkt, dass die rückläufige norwegische Ölproduktion, gekoppelt mit dem jüngst fallenden Ölpreis, die Exporterlöse des Landes drastisch senken wird.
Das herausfordernde Umfeld für Öl und Erdgas kann Norwegen jedoch mit anderen Stärken kompensieren, insbesondere mit der Bilanz des öffentlichen Sektors: Die Staatsverschuldung betrug im dritten Quartal 2019 32 % des Bruttoinlandsprodukts, was vergleichsweise sehr niedrig ist. Zudem sind die Vermögenswerte des staatlichen Pensionsfonds (der unter der Bezeichnung „Oil Reserve Fund“ bekannt ist) dabei gar nicht eingerechnet. Diese belaufen sich auf fast 200 % des BIP. Das öffentliche Nettovermögen Norwegens (Vermögenswerte der öffentlichen Hand minus Staatsverschuldung) liegt bei ca. 165 % des BIP, was dem Land eine außergewöhnliche fiskalische Position verschafft. Selbst eine Defizitfinanzierung als Reaktion auf die Coronapandemie wird den starken Staatshaushalt nicht signifikant beeinträchtigen.
Ausländische Vermögenswerte in Höhe von US$ 560 Mrd. stellen hingegen ein Problem für das Land dar: Eine Repatriierung könnte die Norwegische Krone unterstützen, was zu einer Überbewertung gegenüber den Vergleichswährungen führen und die Wettbewerbsfähigkeit der – ohnehin unterentwickelten – nicht-extraktiven Industrien weiter schwächen würde. Der Einsatz von Devisenreserven zur Unterstützung öffentlicher Ausgaben könnte die Wirtschaftsaktivität kurzfristig positiv beeinflussen, jedoch gleichzeitig auch die Währung aufwerten. Das wiederum würde es Norwegen erschweren, neben den Rohstoffen weitere Wachstumsquellen zu erschließen.
Die Verschuldung des norwegischen Privatsektors ist eine ganz andere Geschichte: Mit 100 % des BIP ist die Verschuldung privater Haushalte recht hoch; die Unternehmensverschuldung erreicht sogar 132 % des BIP. Allerdings dürfte das BIP wahrscheinlich nicht der richtige Bewertungsmaßstab für die Unternehmensverschuldung sein, denn ein Teil dieser Schuldenlast wird von Unternehmenserträgen außerhalb Norwegens getragen. Nichtsdestotrotz könnte es einigen norwegischen Haushalten und Unternehmen angesichts der Pandemie schwerfallen, ihre Schulden zu bedienen, zudem sie sich wohl in einer schwächeren Position befinden als Unternehmen und Haushalte anderswo in Europa oder den USA.
Kurz vor der Pandemie schien die norwegische Wirtschaft solide, doch wie sich das Land auf relativer Basis schlägt, seitdem das Coronavirus einen Großteil der norwegischen und globalen Konjunktur zum Stillstand gebracht hat, ist aufgrund mangelnder Daten schwer zu beurteilen. Die Kombination aus dem Lockdown (in Norwegen sowie weltweit) und einem niedrigeren Ölpreis könnte die norwegische Wirtschaft in eine tiefe Rezession stürzen. In diesem Kontext dürfte eine schwächere Norwegische Krone – obgleich sie mit einem leicht inflationären Effekt für Norwegen verbunden ist – der Wirtschaft einen gewissen Puffer gegen die negativen wirtschaftlichen Effekte der Pandemie bieten. Darüber hinaus könnte eine schwächere Währung dem Land langfristig gesehen helfen, Industrien außerhalb des Rohstoffsektors weiterzuentwickeln. Letztendlich böten ein steigender Ölpreis und eine Erholung der europäischen Vergleichswährungen wahrscheinlich das größte Aufwärtspotenzial für NOK/USD.
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Erik Norland ist Executive Director und Senior Economist der CME Group und somit für die wirtschaftlichen Analysen der globalen Finanzmärkte verantwortlich. Dabei identifiziert er aufkommende Trends, bewertet wirtschaftliche Faktoren und prognostiziert deren Auswirkungen auf die CME Group und ihre Geschäftsstrategie sowie auf die Anleger, die an den verschiedenen Märkten des Unternehmens handeln. Er ist außerdem einer der Sprecher der CME Group für Themen, die die globale wirtschaftliche, finanzielle und geopolitische Lage betreffen.
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