Der Ölmarkt ist als Reaktion auf die drastisch rückläufige weltweite Nachfrage und das Überangebot aufgrund der COVID-19-Pandemie und der jüngsten Sitzungen der OPEC+ im März 2020 massiv unter Druck geraten, insbesondere im Kontext von Logistik, Lagerung und Finanzierung. Weil die Nachfrage eingebrochen ist und die Auslastung der Raffinerien nahe einem Rekordtief liegt, hat die Belegung der Lagerkapazitäten dramatisch zugenommen. Die Preissignale aus der Arbitrage haben auf die volatilen Fundamentaldaten der Märkte reagiert und den Fluss des Öls in die Lagerung umgeleitet, da die Exporte an der US-Golfküste rückläufig sind.
Folglich spiegeln sich die Turbulenzen im Ölmarkt in den Preissignalen im Terminkontrakt NYMEX WTI Light Sweet Crude Oil (besser bekannt als „WTI-Future“) wider, der auf physischer Lieferung des Rohöltyps West Texas Intermediate (WTI) am Umschlagsknoten in Cushing basiert. Die physische Lieferung bedingt die direkte Verbindung von WTI-Futures zum zugrunde liegenden physischen Markt. Bei Fälligkeit des Futures bringt die Börse die Verkäufer und Käufer zusammen, die Öl physisch liefern bzw. die Lieferung annehmen müssen. Aufgrund der jüngst extremen Ungleichgewichte zwischen Angebot (steigende Lagerbestände) und Nachfrage (geringer Betrieb in den Raffinerien) kam es einen Tag vor Fälligkeit des WTI-Kontrakts Mai 2020 zu negativen Ölpreisen, als Käufer und Verkäufer ihre Terminpositionen glattstellten. Bei einem überschüssigen Angebot und niedriger Nachfrage kann es an Rohstoffmärkten durchaus zu negativen Preisen kommen. Diese Marktbedingungen haben im WTI-Terminkontrakt mit Fälligkeit Mai 2020 zu einer noch nie dagewesenen Preisentwicklung geführt.
Ein regulierter Terminkontrakt bietet jedem Käufer und Verkäufer Zugang zur Clearingstelle und eine finanzielle Garantie für die Transaktion. Trotz der extremen Marktsituation haben WTI-Futures für Konvergenz zwischen Termin- und Spotmärkten gesorgt und ihre wichtige Rolle als zentraler Clearingmechanismus für Käufer und Verkäufer am Rohölmarkt erfüllt. Dieses Paper soll über die besonderen Eigenschaften von Cushing im US-Bundesstaat Oklahoma als Handels- und Lagerplatz, der Anbindung an die Pipelines, die Lagerlogistik und die Rolle in der Preisfindung als globale Benchmark informieren. Alle diese Stärken sind von entscheidender Bedeutung, wenn Marktteilnehmer Preisrisiken absichern und zugleich die Auslastung der Lagerkapazitäten steigt.
Im Herz des weltweiten Preisfindungsnetzwerks ist der Knotenpunkt von Cushing der Mechanismus für die physische Lieferung der Light Sweet Crude Oil-Terminkontrakte der CME Group. Zur Zeit der Erstnotiz des WTI-Futures 1983 war Cushing ein lebhaftes Zentrum für den Rohöl-Spothandel – mit einem Netzwerk aus Pipelines, Raffinerien und Lagerterminals. Heute ist Cushing Dreh- und Angelpunkt der Fundamentaldaten für den globalen Rohölmarkt; der Umschlagsknoten ist an fast zwei Dutzend Pipelines angeschlossen und umfasst zwanzig Lagerterminals.
Laut Energy Information Administration (EIA) beläuft sich die nutzbare Lagerkapazität der Öltanks in Cushing auf 76 Mio. Barrel, während sich die verfügbare Gesamtkapazität im September 2019 auf 91 Mio. Barrel belief. Im zweiten Quartal 2020 nähert sich das Fassungsvermögen in Cushing der Marke von 100 Mio. Barrel. Die EIA definiert die nutzbare Lagerkapazität („working storage capacity“) und verfügbare Gesamtkapazität („net available shell capacity“) für Cushing und nach PAD-Distrikt.1 Im Allgemeinen entpricht die Arbeitsfüllhöhe eines Tanks rund 85 % der Nennkapazität, sofern jeder Lagertank über ein Dach und einen Mindestfüllstand verfügt, die vom Terminalbetreiber überwacht werden müssen und daher die Tankkapazität üblicherweise nicht voll ausgeschöpft werden kann.
Die Pipelineinfrastruktur in Cushing ist umfangreich: Täglich fließen rund 3,7 Mio. Barrel durch die Pipelines nach Cushing, 3,1 Mio. Barrel verlassen den Standort wieder. Die eingehenden Pipelines liefern Öl aus Kanada und den US-Schieferölgebieten, einschließlich der Bakken-Formation, Niobrara und den Fördergebieten des permischen Beckens. Die abgehenden Pipelines leiten Rohöl in die Hauptraffineriezentren in den PAD-Distrikten 2 und 3.
Incoming pipelines | Capacity | Owner |
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Keystone (from Steele City, NE) | 590,000 | Transcanada |
Basin Pipeline (Permian) | 550,000 | Plains |
Flanagan South (Canada/Bakken) | 600,000 | Enbridge |
Spearhead Pipeline (Canada) | 195,000 | Enbridge |
Centurion North Pipeline (Permian) | 170,000 | Occidental |
White Cliffs Pipeline (Niobrara) | 215,000 | Rose Rock |
Plains Cashion, OK Pipeline | 250,000 | Plains |
Mississippian Lime Pipeline | 150,000 | Plains |
Pony Express Pipeline (Niobrara) | 320,000 | Tallgrass |
Saddlehorn-Grand Mesa | 340,000 | Magellan/Plains |
Glass Mountain | 210,000 | Sem Group |
Hawthorn (Stroud to Cushing) | 90,000 | Hawthorn |
Great Salt Plains | 35,000 | Great Salt Plains Midstream |
Eagle North | 20,000 | Blueknight |
Aktuelle eingehende Kapazität insgesamt: 3,7 Mio. Barrel/Tag
Outgoing pipelines | Capacity | Owner |
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Seaway Pipeline | 850,000 | Enterprise |
Keystone MarketLink | 700,000 | Transcanada |
BP#1 (to Chicago) | 180,000 | BP |
Ozark (to Wood River, IL) | 345,000 | Enbridge |
Osage (to Eldorado, KS) | 165,000 | Magellan/NCRA |
Coffeyville CVR pipeline | 110,000 | Plains All American |
Phillips (to Ponca City, OK) | 122,000 | ConocoPhillips |
Phillips (to Borger, TX) | 59,000 | NuStar |
Red River Pipeline (Longview) | 125,000 | Plains All American |
Red River Pipeline | 25,000 | Plains All American |
Sunoco (twin lines to Tulsa) | 70,000 | Sunoco |
Plains Cherokee | 20,000 | Plains All American |
Magellan Tulsa | 30,000 | Magellan |
Diamond Pipeline (to Memphis) | 200,000 | Plains All American |
Aktuelle abgehende Kapazität insgesamt: 3,0 Mio. Barrel/Tag
Nicht nur die Lager- oder Pipelinekapazitäten machen Cushing zu einem zentralen Knotenpunkt für Lieferungen gemäß der globalen Ölbenchmark, sondern auch das Netzwerk der vielfältigen dort ansässigen Unternehmen. Der WTI-Futures-Kontrakt kann über die Anlagen von Enterprise oder Enbridge in Cushing oder an einem angebundenen Standort beliefert werden. Das Enterprise-Terminal fungiert als zentrale Verbindungsstelle in Cushing und vereinfacht den Transfer von mehreren zehn Millionen Barrel monatlich. Um nach Fälligkeit des WTI-Futures die Lieferung anzunehmen, müssen Unternehmen er über Lager- oder Pipelinekapazitäten mit Anbindung an einen der NYMEX-Lieferplätze in Cushing verfügen. Daraufhin können sie die Lieferung des Öls in die Lagertanks oder in eine Pipeline zu den Raffinerien im PAD-Distrikt 2 oder an der Golfküste veranlassen.
Die physische Lieferung bedingt die direkte Verbindung von WTI-Futures zum zugrunde liegenden physischen Markt, wobei Futures-Käufer und -Verkäufer von der Sicherheit eines Clearinghauses als finanzieller Garant profitieren. Außerdem verlangen die Terminalbetreiber in Cushing von Kunden, die gewünschten Rohölverlegungen im Vorfeld der Lieferung mitzuteilen, sodass die geplanten Lieferungen störungsfrei zu- und ablaufen können.
Die beispiellosen fundamentalen Bedingungen am Weltmarkt haben die Ölindustrie in der ersten Hälfte von 2020 unter enormen Druck gesetzt, denn die Unternehmen reagieren auf die volatilen Preissignale der Arbitrage und sichern Preisrisiken im Zusammenhang mit dem Nachfrageeinbruch und steigenden Rohöllagerbeständen ab.
Das erste Anzeichen für den Einbruch der Nachfrage durch die COVID-19-Pandemie in den Vereinigten Staaten zeigte sich im Benzin-Terminkontrakt New York Harbor RBOB („RBOB-Future“). Der Terminmarkt für RBOB-Benzin prognostizierte frühzeitig Nachfragesorgen, als der Kurs am 23. März seinen tiefsten Stand seit zwanzig Jahren erreichte: US$ 0,376. RBOB-Futures sind ein wichtiger Indikator für Benzin weltweit, da sie als einziger Benzin-Future elektronisch rund um die Uhr gehandelt werden. Im ersten Quartal 2020 wurden täglich im Schnitt 230.000 RBOB-Kontrakte gehandelt und das Open Interest stand zum 23. April 2020 bei 380.000 Kontrakten.
Noch unmittelbarer waren die Auswirkungen auf die Benzinpreise durch den Zeitpunkt des Ausbruchs der Coronavirus-Pandemie. In der Vergangenheit wurden die Benzinlager üblicherweise während des Winters gefüllt, um Vorräte für den Spitzenverbrauch durch den Kraftverkehr im Sommer anzulegen. Als sich jedoch abzeichnete, dass in diesem Sommer weit weniger gefahren werden dürfte, setzte bei RBOB-Futures ein noch schnellerer Preisverfall ein als bei Rohölpreisen, wie der nachstehende Chart des Crack-Spread zeigt.
Die Raffineriebetreiber haben die Preissignale rasch aufgegriffen und auf den Einbruch der Benzinpreise reagiert, was sich in der Auslastungsquote der US-Raffinerien zeigt. Diese fiel auf Tiefststände, wie sie zuletzt während der Lehman-Finanzkrise 2008 erreicht wurden.
Die Rohölproduktion wurden jedoch nicht im selben Tempo heruntergefahren wie der Betrieb der Raffinerien. Dies führte zu einem Anstieg der Nachfrage nach Lagerkapazitäten, da Marktteilnehmer ihr Öl in die Tanks verschoben. Durch das Überangebot in Verbindung mit dem Zusammenbruch der Nachfrage weltweit war die Preisarbitrage nachteilig für Rohölexporte. Die Exporte sind für Amerika zu einem wichtigen Absatzmarkt geworden: US-Rohöl wurde zum „Grenzlieferanten“ der globalen Energiemärkte.
Eines der ersten Preissignale des Überangebots von Rohöl war der rapide Preisverfall am inländischen Rohöl-Spotmarkt in den USA. Ende März 2020 wurden WTI Midland und WTI Houston mit einem wachsenden Abschlag gegenüber den WTI-Benchmarkt-Futures gehandelt – ein frühes Anzeichen für das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage am US-Rohölmarkt. Aufgrund dieser Kursarbitrage leiteten die Marktakteure ihre Barrels in die Lagertanks in Cushing. Die nachstehende Grafik zeigt die allgemeine Preisvolatilität der Rohölsorten am US-Heimatmarkt während März und April 2020. Letztlich sorgten WTI-Futures am Fälligkeitstermin 21. April 2020 für Konvergenz zwischen den Termin- und Spotmärkten.
Die CME Group bietet auf ihrer Internetseite ein nützliches Handelstool, mit dem die täglich in den Energiefutures stattfindende Rollaktivität („Pace of the Roll“) verfolgt wird, um das Ausmaß des Open Interest in den wichtigsten Benchmark-Kontrakten (einschließlich WTI-Futures) zu analysieren. Der untenstehende Chart zeigt das „Pace of the Roll“ aus dem Tool QuikStrike von CME Group zum 17. April 2020, also drei Tage vor Fälligkeit des WTI-Kontrakts Mai 2020. Dieser Chart zeigt, dass das Open Interest über dem Durchschnitt lag (orangene Linie). Aufgrund der beispiellosen Fundamentalbedingungen am globalen Markt haben sich Unternehmen noch stärker auf die WTI-Terminkontrakte verlassen, um Preis- und Kontrahentenrisiken abzusichern.
Bei Fälligkeit des Futures bringt die CME Group die Verkäufer und Käufer zusammen, die Öl physisch liefern bzw. die Lieferung annehmen müssen. Aufgrund der jüngst extremen Ungleichgewichte zwischen Angebot (steigende Lagerbestände) und Nachfrage (geringer Betrieb in den Raffinerien) kam es bei Fälligkeit des WTI-Kontrakts Mai 2020 zu negativen Ölpreisen, als Käufer und Verkäufer ihre Terminpositionen glattstellen mussten. Wichtig ist auch, dass der Mai-WTI-Kontrakt nach den negativen Preisen am Nachmittag des 20. April und am Vormittag des 21. April schließlich zu einem Kurs von US$ 10,01 abgerechnet wurde. Darin spiegelt sich die erfolgreiche Konvergenz der Termin- und Spotpreise bei der Schlussabrechnung wider. Der Handel wurde nicht unterbrochen, sodass der Markt den Preisfindungsprozess fortsetzen konnte.
*Stand 17. April 2020, also drei Tage vor Fälligkeit des Mai-2020-Kontrakts
Quellen: „Pace of the Roll“ aus dem QuikStrike-Tool der CME Group; LQ/UQ bezeichnet das niedrigste Quartil/höchste Quartil der letzten 20 monatlichen Rollover-Zeiträume; die durchschnittlichen Mindest-/Höchstwerte basieren auf den Daten der letzten 20 monatlichen Rollovers.
Wichtig ist, dass die Terminmärkte der CME Group wie vorgesehen funktioniert haben. Unsere Future-Kurse spiegeln die Fundamentaldaten des Markts für physisches Rohöl wider, der von den beispiellosen, weltweiten Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beeinflusst wird, wie der schwindenden Nachfrage nach Öl, einem weltweiten Überangebot und einer hohen Auslastung der US-Lagerkapazitäten. Nach einer Vorankündigung an unsere zuständige Aufsichtsbehörde und den Handelsplatz Anfang April 2020 ließ die CME Group am 20. April negative WTI-Terminkurse zu, damit Kunden ihre Risiken trotz dramatischer Kursschwünge steuern können und zugleich die Konvergenz zwischen Termin- und Spotpreisen gesichert war. WTI-Futures haben ihre wichtige Rolle als zentraler Clearingmechanismus für Käufer und Verkäufer im Rohölmarkt erfüllt und für einen transparenten, fairen und robusten Benchmarkkurs gesorgt.
Die noch nie dagewesenen Bedingungen am Weltmarkt werden die Ölindustrie auch im weiteren Jahresverlauf massiv unter Druck setzen, da die Unternehmen auf die volatilen Preissignale der Arbitrage reagieren und die Preisrisiken im Zusammenhang mit den steigenden Beständen eingelagerten Öls absichern.
Willkommen bei der CME Group – Ihr globales Zentrum für Risikomanagement. Mit unseren vier Terminbörsen CME, CBOT, NYMEX und COMEX bieten wir eine umfassende Bandbreite an globalen Benchmark-Produkten über alle wesentlichen Anlageklassen hinweg und helfen Unternehmen auf der ganzen Welt, die zahlreichen Risiken, denen sie in der heutigen unsicheren Weltwirtschaft ausgesetzt sind, zu reduzieren.
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